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Russische Volkskunst – zur Miniaturmalerei von Palech

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Lackminiatur von Anastasia Velikanova (Tempera auf Pappmaché)

Berlin - Ich wurde in einem berühmten und fantastischen Ort in Zentralrußland geboren – der kleinen Stadt Palech. In erster Linie war Palech für mich immer das Bild der Harmonie zwischen der lyrischen und so schönen zentralrussischen Natur und der wundervollen Märchenkunst der Lackminiaturen. In meinen Gedanken und Erinnerungen (nun lebe ich in St. Petersburg) ist es ein so kleiner und intimer, poetischer Ort, doch wie großartig ist es! Wenn ich des Leidens der Großstadt überdrüssig bin und Harmonie und Inspiration suche, gehe ich immer in mein stilles heimatliches Palech – diese Oase der russischen Natur und Kultur.

Wenn man nur kurz etwas über die Geschichte dieses erstaunlichen Ortes sagen soll, ist Palech vor allem eine alte Stadt. Die erste Erwähnung von Palech in einer Chronik bezieht sich auf die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts, aber es kann angenommen werden, daß es bereits vor dem 14. Jahrhundert existierte. Zu Zeiten des Prinzen Andrei Bogoljubski, im 12. Jahrhundert, begann im Gebiet des Fürstentum von Wladimir und Susdal das Kunsthandwerk zu entstehen, einschließlich der Ikonenmalerei. Es gab ganze Ikonenwerkstätten. Wegen der Invasion der Tatar-Mongolen jedoch flohen viele Bewohner von Wladimir und Susdal an Orte in tiefen Wäldern, gründeten Palech und und brachten ihre Fertigkeiten in der Ikonenmalerei mit. Umgeben von tiefen Wäldern, fernab großer Straßen und Flüsse, existierte Palech für eine lange Zeit isoliert. Zuerst gehörte Palech den Prinzen Paletzskiye, vor dem Ende ihrer Dynastie im 15. Jahrhundert. 1628 gehörte Palech dem Adligen und Gouverneur Iwan Buturlin. Die Buturlin-Dynastie war bis 1861 Eigentümer Palechs.

Dokumente aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts berichten uns, daß Palech ein sehr fortschrittlicher Ort im Kunsthandwerk der Ikonenmalerei war. Viele Dynastien der Ikonenmaler Palechs gehen zurück auf das 17. Jahrhundert und sogar früher. In der Mitte des 17. Jahrhunderts erreichte der Ruhm der Meister Palechs Moskau und sie wurden eingeladen, in Moskau für den Hof des Zaren zu arbeiten.
In den Jahren 1762-1774 wurde im Zentrum von Palech die Kirche des Heiligen Kreuzes  (Krestovozdvizjensky-Kirche) errichtet, welche von den Meistern Palechs reich dekoriert wurde. Nun ist sie ein Teil des Staatlichen Museums der Kunst von Palech.
Ikonen in Palech werden in langwieriger Arbeit und mit großen Fertigkeiten gemalt, unter Zuhilfenahme alter Ikonographien und Bilder, weshalb sie sehr teuer sind. 

1814 interessierte sich Goethe sehr für die Ikonenmeister der Orte in Susdal und erhielt die Antwort, daß unter diesen Orten Palech herausragend und erstaunlich sei. Zwei Ikonen der Meister Andrei und Iwan Kaurtsew wurden an Goethe gesandt.
Nach der Oktoberrevolution waren die Meister von Palech ohne Arbeit, denn Ikonen waren nicht länger gefragt. Sie mußten unter Zuhilfenahme ihrer großen Fertigkeiten etwas ganz Neues schaffen. Sie versuchten sich an der Malerei auf Holz, doch der erste Meister, den wir mit der Lackminiatur aus Palech verbinden, wurde Iwan Golikow. Er lebte damals in Moskau, und im Museum der Volkskunst sah er eine kleine schwarze Schachtel aus Pappmaché, in Fedoskino mit verschiedenen Farben bemalt. Und er beschloß, etwas Ähnliches zu versuchen und war sehr inspiriert. Bald begannen weitere Meister, mit Golikow zu arbeiten, und am 4. Dezember 1924 gründeten sieben Künstler die Artel-Gruppe der alten Malerei. 1925 waren ihre Künste auf der Weltausstellung in Paris sehr erfolgreich.
Die neue Kunst von Palech war sehr fortschrittlich – die Meister wandten sich neuen Themen und Motiven des modernen sowjetischen Lebens zu wie auch den Märchen – Geschichten aus dem Volk und von Puschkin und weiteren literarischen Meisterwerken. Die paradoxe Synthese alter Traditionen und fortschrittlicher, moderner Themen machte die Kunst aus Palech so einzigartig und leuchtend, und so fand sie Unterstützer in den Kreisen der Intelligenz, bei Kunsthistorikern und der Regierung. Sie wurde in der ganzen Welt berühmt und wertvoll.

Die Gegenwart ist für die Kunst in Palech nicht sehr leicht. Wenn es zu Sowjetzeiten eine große Werkstatt gab, wo alle Meister arbeiteten, unter großer Unterstützung der Regierung, existieren in der heutigen Zeit eine ganze Menge verschiedene Werkstätten und Organisationen. Viele Meister kehren nun zur Ikonenmalerei und Wandmalereien für Kirchen zurück. Ich wage zu behaupten, daß jeder so lebt, wie es möglich ist und seinen eigenen Weg in der Kunst findet. Viele junge Leute gehen in die großen Städte, die großen alten Meister versterben. Doch die Hauptsache – die Kunst von Palech lebt. Und immer gibt es Hoffnung.
Im Jahr 2014 war das 90ste Jubiläum der Kunst von Palech, und es wurde gefeiert, indem das Staatsmuseum der Kunst von Palech mit modernen Lackminiaturen und neuen wie alten Ikonen erstmals die Türen für das Publikum öffnete. Es gab auch eine erstaunliche und zudem große Ausstellung mit Kunst aus Palech in Moskau in der Zentralen Künstlerhalle.
Sicher gibt es vieles mehr über die Geschichte der Kunst von Palech zu erzählen, doch dies läßt sich in den Büchern und im Netz finden, und so würde ich gerne erzählen, was diese Kunst mir persönlich bedeutet.

Ich war seit den ersten Tagen meines Lebens von dieser erstaunlichen Kunst umgeben, denn meine Eltern und meine Großmutter sind Künstler aus Palech, so erschien es mir anfangs als selbstverständlich, als etwas Alltägliches. Von Geburt an verstand ich mich also nur als eine Künstlerin und niemand anders... nun... in meiner Kindheit jedenfalls mochte ich es, sehr lange Miniaturen aus Palech anzuschauen, aber natürlich verstand ich damals noch nicht das ganze Herz und Wesen dieser Kunst. Es war nur wie ein Märchen überall um mich herum – Kunst, Natur und Literatur. Erst als ich begann, an der Kunsthochschule in Palech zu studieren, konnte ich wissen und verstehen, was diese Kunst ist und wie schwierig und elitär sie ist, wie kostbar.
Die nach Gorki benannte Kunsthochschule in Palech besteht seit 1928 und war die erste professionelle Schule der alten Malerei. 1936 wurde sie zur Hochschule. Das ist außergewöhnlich und das Wichtigste an der Kunsthochschule von Palech – nur hier können die zukünftigen Künstler die einzigartigen Fertigkeiten erlangen und alle Details lernen, wie diese schwierige Kunst zu schaffen ist. Alle Traditionen der Kunst von Palech leben hier! Alle Lehrer sind professionelle Künstler aus Palech. Die Ausbildung dauerte vier Jahre. Es gibt akademische Disziplinen wie Malen und Zeichnen und auch die Hauptsache – die Komposition und das Malen der speziellen Miniaturen, ebenso die Disziplin der Ikonenmalerei.

Das erste Jahr der der Ausbildung gilt den Grundlagen, aber den wichtigsten Dingen – wenn man lernt, nur zu zeichnen und mit dünnen Pinseln perfekte gerade Linien, Kreise und Ornamente zu malen, ohne jegliche Lineale. Zuerst auf dem Papier... dann wird es schwerer und schwerer... anfangs nur mit roter und schwarzer Farbe, von Linien zu traditionellen Kompositionen – Landschaften mit Figuren und Gebäuden, speziell Palästen. Dafür bekamen wir spezielle Kunstbeispiele zum Kopieren.
Im zweiten Jahr wird bereits mit allen Farben gearbeitet, mit Tempera und anderen traditionellen Materialien. Auch werden viele Bilder kopiert sowie die ersten eigenen Kompositionen geschaffen. Ich erinnere mich an die schlaflosen Nächte und Rückenschmerzen vor der Betrachtung meiner Probestücke. Auch hatten wir im Sommer Praktika in der Disziplin der Wandmalerei. Und natürlich, die interessantesten und schwierigsten Dinge – sind dann die Diplomkunstwerke. Ich wählte die biblische Geschichte über Noah und seine Arche, dies war keine sehr traditionelle und auch keine einfache Wahl. Zuerst mußte ich mich dem für Palech traditionellen schwarzen Hintergrund verweigern – wegen des religiösen Themas arbeitete ich auf einem weißen Hintergrund. Ich meine, es war etwa 20 mal 30cm groß. Die Hälfte des Jahres sammelte ich verschiedene Materialien für mein Diplom, machte verschiedene Skizzen, dachte über die Komposition nach, und schließlich kam ich zum schwierigsten, aber interessantesten Teil – dies alles in Farben zu verwirklichen. Und es wurde eine sehr erfolgreiche Arbeit! Und ich bin meinen Lehrern und Freunden und Eltern ewig dankbar, die mir natürlich unschätzbare Hinweise gaben.

Derzeit lebe ich in St. Petersburg, einer sehr großen Stadt, der “nördlichen Hauptstadt” unseres Landes, doch ich muß sagen, daß Palech immer bei mir ist. Und auch, wenn meine Kunst jetzt nicht  mehr die typische Kunst von Palech ist, so hat diese doch immer ihren Einfluß. Von Zeit zu Zeit male ich Souvenire und male natürlich meine eigenen Bilder – der schwarze Hintergrund dieser Bilder und die lebhaften Farben könnten Sie an die berühmten Schachteln von Palech erinnern...

(Übersetzung aus dem Englischen von Ruedi Strese)

unsere Autorin:
Anastasia Velikanova wurde 1986 in Palech, einem bedeutendem Zentrum der traditionellen russischen Ikonenmalerei und Lackminiaturenherstellung, geboren. Ihre Eltern waren bereits in diesem Kunstzweig tätig. Sie lernte an der Kunstschule in Palech und anschließend an der dortigen Kunstoberschule, wo sie 2005 ihr Abitur machte. Danach ging sie nach St. Petersburg und studierte bis 2010 russische Kunstgeschichte an der Staatlichen Russischen Kunstakademie. In Folge erwarb sie im Selbststudium Kenntnisse in digitaler Kunst und Design und arbeitete zwei Jahre in einem Studio für Animationsfilme. Sie ist derzeit in Sankt Petersburg als Graphikdesignerin, Malerin und Musikerin tätig.

Verweise:
https://www.behance.net/venart
http://www.art-depesche.de/index.php/malerei/43-volkskunst-und-avantgarde-ein-gespraech-mit-anastasia-velikanova
http://palekh.narod.ru/win/histor.htm
https://www.behance.net/gallery/28916727/Palekh-MiniatureHandmadepalehskaja-miniatjurarospis

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